Mit allen Wassern gewaschen? Tour de Pflege meistert erste Herausforderungen am Klinikum Worms, 1. Tag – 2. Station

„Frauen sind in unserem Gesundheitssystem in dreierlei Hinsicht benachteiligt.“ Ingrid Franz, Hebamme von Beruf, steht mit fast 30 Kolleginnen und Kollegen in der Eingangshalle des Klinikums Worms und spricht zum ersten Tagesthema der Tour de Pflege 2024. Eigentlich sollte die Aktion der Aktiven draußen untern freiem Himmel stattfinden. Mehr Platz für die 15 Radler*innen, die sich mittlerweile auf dem Weg von Mainz zur zweiten von elf Station eingefunden haben. Auch der Klinikschef der Mainzer Universitätsmedizin ist dabei und spendierte auf der ersten Etappe einen Kaffee für die muntere Runde. Doch das nasse Wetter fordert eine kreative Rettungsmaßnahme.

Die Pflegedirektorin Brigitte Ahrens-Friess und Hiltrud Tilmann, stellvertretende Pflegedirektorin gewährt dem Bündnis Pflege.Auf.Stand RLP spontan im Foyer des Klinikums Unterstand. Eine fantastische Geste im laufenden Kliniksbetrieb. Das wussten alle Teilnehmenden sehr zu schätzen. Erika Roth, von der Gewerkschaft ver.di, sorgte vor Ort für leckere Stärkung und organisierte dem Bündnis Pflege.Auf.Stand einen herzlichen Empfang. Von der Partei Die Grünen, Worms waren unterstützend dabei Anna Biegler und Franziska Werner. Vor der Partei Die Linke Isabell Lieffertz.

„Einmal als Profis im Beruf, zum Beispiel des Hebammenwesens. In der familiären Care Arbeit und als Leistungsempfängerin in der Erreichbarkeit ihrer Gesundheitsleistungen rund ums Kinderkriegen, führt I.Franz ihren Vortrag weiter aus. Der feministische Blick auf die strukturelle Benachteiligung von Frauen ist wichtig auf dem Weg dahin, neue Strukturen zu entwickeln und so lebensphasenorientiertes Arbeiten in Balance zu halten. Auch die Männer und Väter erfahren dadurch positive Auswirkungen und sind in keinerlei Hinsicht in der Entwicklung von Konzepten ausgeschlossen, sondern eine tatsächliche Gleichberechtigung kann so möglich gemacht werden. „Dank an alle Männer und Diverse, die im Gesundheitswesen und der privaten Care-Arbeit die gleichen schwierigen Rahmenbedingungen erleben wie die Frauen!“

„Die gesundheitlichen Belastungen in Pflegeberufen sind hoch. Der Barmer Pflegereport 2020 zeigt, dass rund ein Viertel aller 55 bis 64-Jährigen aus gesundheitlichen Gründen in die Frühverrentung geht. Die Altersgrenze für den Renteneintritt beträgt 67 Jahre – auch in der Pflege,“ referiert I. Franz im Foyer der Klinik weiter.

Das ist unzumutbar!

Die Personalversorgung ist vielerorts unterirdisch. Die Pflege hat heute am 1.7.24 erreicht, dass die PPR 2.0 umgesetzt wird. Für die Hebammen gibt es gar keine verbindliche Personalbemessung. Der Deutsche Hebammenverband hat für die Personalbemessung von Klinikhebammen versorgungsstufenabhängige Modelle erarbeitet. Es gibt eine wissenschaftlich erarbeitete „Leitlinienorientierte Personalbemessung für Hebammen“. Da wird beispielsweise die stationäre Aufnahme einer Frau zur Geburt mit einer vollen Zeitstunde berechnet. Ohne eine gute Personalbedarfsplanung brauchen wir nicht über “Qualität“ zu reden. Da muss die Politik handeln!

Und noch was: wir erleben immer häufiger Spontanschließungen einzelner Fachabteilungen oder ganzer Klinikstandorte wie zuletzt in Lahnstein. Kollegen und Kolleginnen, Schließungen fallen nicht vom Himmel. Bei solchen Schließungen werden langjährige Mitarbeitende von heute auf morgen einfach vor die Tür gesetzt. Oft mit der Bemerkung, sie können ja woanders arbeiten. Es gibt schließlich Fachkräftemangel. Ich erwarte, dass Träger vor einer Schließung ein „Changemanagement“ durchführen. Es muss Qualifizierungsmaßnahmen und Übernahmemanagement mit benachbarten Standorten geben. Das entlastet Personal und Abteilungen auffangender Kliniken und verhindert Arbeitslosigkeit.

Ich stehe heute hier vor einem Haus, in dem ein solches Changemanagement stattgefunden hat. Das war im Jahr 2010, als die Geburtshilfe im Hochstift schloss und das Personal nahezu problemlos ins Klinikum wechseln konnte. Was wir heute anderen Orts erleben, ist bodenlos verantwortungslos!

Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Euch auf:

Beteiligt Euch an Aktionen, werdet Mitglied in Gewerkschaft, Berufsverbänden und Aktionsbündnissen und sorgt dafür, dass Eure wichtige Arbeit endlich gesehen und wertgeschätzt wird, damit bessere Rahmenbedingungen und eine bessere Bezahlung rüberkommen.

Letzter Punkt: Frauengesundheitsleistungen rund ums Kinderkriegen schwinden. Frauen sind mit 46,8 Prozent fast genauso häufig erwerbstätig wie Männer. Sie zahlen prozentual die gleichen Krankenversicherungsbeiträge wie ihre männlichen Kollegen. Doch die Gesundheitsleistungen rund ums Kinderkriegen werden immer schlechter erreichbar. In den vergangenen 30 Jahren schlossen fast 50 Prozent der Geburtshilfestationen in Deutschland. Besonders dramatisch ist das im ländlichen Raum. Hier vergrößert sich die Versorgungslücke.

Das setzt sich in der Krankenhausreform fort.

Da werden alte Strukturmerkmale wie Mindestmengen und Erreichbarkeitszeit beibehalten: Wussten Sie, dass für das Erreichen einer Chirurgie oder einer Inneren Medizin maximal 30 Minuten PKW-Fahrzeit angesetzt sind, für die Fahrt zu einer Geburtshilfeleistung jedoch 40 Minuten als gute Qualität gelten? 40 Minuten Fahrt zur nächsten Geburtshilfeleistung – um als gesunde Schwangere am Endtermin herauszufinden, ob das nun Wehen sind oder Bauchweh von den vielen Trauben gestern Abend. Um ein CTG schreiben zu lassen, weil die Gynpraxis in Ferien ist.

Hebammenhilfe und Geburtshilfe sind wichtige Frauengesundheitsleistungen. Sie müssen mitgedacht werden. Sie müssen für Jedefrau jederzeit wohnortnah und in ausreichender Qualität erreichbar sein. Der alternativlose Abbau von Geburtshilfestationen ist frauenfeindlich. Der Deutsche Hebammenverband hat ein gestaffeltes Versorgungsmodell entwickelt. Es heißt „Hebammengeleitete Geburtshilfe“. Die „Hebammengeleitete Geburtshilfe“ nach Vorgabe des Deutschen Hebammenverbandes könnte die erste Anlaufstelle für alle Frauen sein. Sie könnte wohnortnah Notfall- und Überleitungskonzepte in die nächsthöhere Versorgungsstufe gewährleisten. Bei guten Rahmenbedingungen könnten Hebammenpraxen, Geburtshäuser und kleinere stationäre Einheiten entstehen.

Bislang wird das Modell der Hebammengeleiteten Geburtshilfe von der Politik ignoriert. Das muss sich ändern!

Verschafft Euch Gehör – Ihr Profis im Gesundheitssystem, damit Eure hochanspruchsvolle und wichtige Arbeit bessere Rahmenbedingungen kriegt.

Verschafft Euch Gehör – Ihr die Ihr Familienangehörige betreut und versorgt, damit Ihr nicht vor lauter Liebesdienst am Ende Eures Lebens in der Altersarmut landet!

Verschafft Euch Gehör – Ihr Frauen, damit Ihr bessere Zugänge zu Euren frauenspezifischen Gesundheitsleistungen bekommt.

Herzlichen Dank Ingrid Franz für deinen Vortrag im Rahmen der Tour de Pflege 2024 – ohne Grenzen. Uns in unseren Gesundheitsberufen sichtbar machen und auf die allgemeinen Bedingungen kritisch aufmerksam machen – das ist Inhalt unserer fünf Tage Fahrt durch vier Bundesländer. Auf geht’s zur dritten Station von elf an das Klinikum Ludwigshafen.

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