Ein Bündnis stellt Fragen und fordert Antworten!

Statement vom Bündnis Pflegeaufstand RLP im Juni 2022

Zum Thema Pflegenotstand im Krankenhaus, Hebammenmangel in den Kreißsälen, aktuelle Situation des Gesundheitswesens mit unmittelbarer Auswirkung auf die Gesellschaft. Ausarbeitung im Orga Team des Bündnisses, Zusammengefasst von Julia-C. Stange, überarbeitet und ergänzt Thema Mitbestimmung bei Diakonie und Caritas von Anne Jacobi-Wirth.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Mitbürgerinnen und Mitbürger, sehr geehrte Vertreter und Vertreterinnen der Politik,

Wir sind von der Basis für die Basis. Das Bündnis Pflegeaufstand RLP vertritt die Interessen aller im Gesundheitswesen arbeitenden Berufsgruppen – der Altenpflege, der zahlreichen Funktionsdienste, der Hebammen des Landes, sowie auch die Interessen der Auszubildenden in diesen vielfältigen Berufen! Und die Basis sagt es schon so lange – nicht erst seit Ausbruch dieser Pandemie – sondern seit Ende der 90iger Jahre. Das System Gesundheit bricht Stück für Stück zusammen. Die Probleme werden jedoch doch weiterhin ignoriert!

Wo bleibt zum Beispiel die konkrete Umsetzung der PPR2.0?! Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht sie drin!

Eine der tragenden Säulen einer stabilen, einer demokratischen Gesellschaft steht nicht mehr mit ihrer gesamten Professionalität zu Verfügung. Wir haben einen Anspruch an uns, an die Möglichkeiten unseren Beruf auszuüben, an eine optimale Versorgungsstruktur! Doch die Daseinsvorsorge gegenüber der Gesellschaft kann bereits deutlich spürbar nicht mehr gewährleistet werden. An diesem Zustand tragen besonders die Pflegefachkräfte schwer. Und doch liegt die Ursache im System selbst! Das tägliche Triagieren ist bitterer Alltag geworden.

Kreißsäle, die Mütter unter der Geburt kaum betreuen können, weil es an Hebammen fehlt. Wie geht es dem Notfallpatienten im Rettungswesen? Bekommt er seine medizinische Versorgung? Unter welchen Arbeitsbedingungen für die Kolleg:innen?! Kindernotaufnahmen werden zunehmend geschlossen. Kinderkliniken kaum noch finanziert.

Die Gesellschaft wächst und wird größer. Wohin mit unseren Kindern? Die Pädiatrie braucht zwingend fachgeschultes Personal – pflegerisch sowie ärztlicherseits. Es ist ein fataler Trugschluss zu denken, Kinder könnten in einer völlig überfüllten Notaufnahme zusammen mit Erwachsenen bestmöglich versorgt werden. Die Pädiatrie muss ein eigener Zweig bleiben. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen! Der Landeskrankenhausplan gehört dringend überarbeitet. Und zwar nicht mit dem weiteren Fokus auf Profiterzielung – sondern mit dem Fokus auf den Menschen!

Warum werden nicht deutlich mehr Kinderärzte eingestellt? So würden es mehr Häuser schaffen, eine Level 1 Zuordnung zu bekommen. Aktuell muss immer wieder die Uniklinik mit Blaulicht ausrücken, um diesen Notstand an Fachpersonal aufzufangen und Kinderleben retten. Bei jeder notwendigen Reanimation geht hier kostbare Zeit für das Kind verloren, Familien werden durch die Verlegung getrennt, das Outcome ist kritisch.  

Anspruch, auf qualitativ hohem Niveau arbeiten zu können – das funktioniert nur mit mehr Personal und wenn keine Pflegefachperson mehr allein im Dienst arbeiten muss! Durch eine gesetzliche Verordnung gibt es hier auf Landesebene bereits die Chance eine deutliche Verbesserung der Arbeitssituation zu erreichen.

Der bestehende Fachkräftenotstand nimmt weiter einen unheilvollen Lauf. Auch mit Einführung der Generalistischen Ausbildung. Große Frage hier: Bei gleicher Ausbildung – warum nicht auch gleicher Verdienst nach der Ausbildung? Warum ist der Gehaltsunterschied so immens zwischen Altenpflege und Krankenpflege? Ein Azubi sieht im Verlauf seiner Ausbildung den deutlichen Unterschied. Da ist die Sorge berechtigt, dass so gut wie kein Personal sich für eine Anstellung in einer Pflegeeinrichtungen entscheiden wird.    

Weitere Frage: Das unsägliche Thema der Fallpauschalen, die jeden Patienten zu einem Preisschild verkommen lassen und in der Konsequenz, Krankenhäuser dazu zwingt, wie Fabriken arbeiten zu müssen. Warum, bei einem System, dass aus so vielen Rädchen besteht, damit es funktioniert, ist nur der Kostenfaktor der Pflege am Bett aus der Finanzierung der DRGs rausgenommen worden. Die vielen Funktionsdienste, Ärzte, Ambulanzen, OP-Bereiche nicht. Hier wird das Personal gedeckelt und gelebte Praxis ist, die Aufgaben für diese Bereiche werden zunehmend an die Pflege delegiert. Eine schiere Überlastung und Nicht- Akzeptanz bis hin zu Ignoranz der eigentlichen pflegerischen Kernaufgaben. Krankenhaus funktioniert nur als Team!

Und Krankenhäuser braucht die Bevölkerung!

Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein – besteht aus dem Zusammenschluss von fünf großen Häusern. Das wird jetzt verkauft an Sana? Warum? Ein weiteres privatisiertes Krankenhaus in Rheinland-Pfalz!? Ist denn der Zustand in beispielsweise Gießen/Marburg auf hessischer Seite nicht Grund genug, aus dem dort durch Privatisierung entstanden Desaster frühzeitig zu lernen? Die Aktionäre haben sich bereits reich bedient und das Haus kann schon jetzt seinem Versorgungsauftrag nachweislich nicht mehr nachkommen! Wir haben ausreichend Negativbeispiele vor der Nase und doch geht die Politik nicht gegen die zunehmende Privatisierung an – im Gegenteil! Wie kann man das zulassen, dass die Sozialbeiträge am Bedarf des Menschen so vorbeigehen und ausschließlich Aktionäre davon profitieren? Wenn Kliniken schließen, existieren in ihrem Umfeld dann auch keine Kreißsäle oder Geburtshäuser mehr.

Welche Idee gibt es hier, eine maximale Kehrtwende zu erarbeiten?

Der Finanzierung der Krankenhäuser gehört eine neue Priorisierung zugeordnet – und zwar bedarfsgerecht! Was ist uns ein gut funktionierendes Gesundheitswesen wert? Das sollte die richtige Fragestellung sein. Wollen Sie wieder mehr Fachpersonal in den Häusern, beginnen Sie mit der Sanierung dieser. Der mangelhafte bauliche Zustand fördert in kleinster Weise den Genesungsprozess der Patienten, lässt kein Personal gerne in solchen Räumlichkeiten arbeiten. Die Möglichkeiten der medizinischen Versorgung entwickelt sich rasant zum Wohle des Menschen. Daher muss auch die vorhandene Technik, die Geräte regelmäßig diesem Standard angepasst werden. Die Krankenhausfinanzierung durch das Land hatte im vergangenen Jahr eine massiv hohe Differenz. 128 Millionen wurden gegeben – nötig gewesen wären ganze 300 Millionen! Es darf nicht zugelassen werden, dass solche Kosten bezahlt werden, aus Geldern, die bestimmt sind für die Betriebs- und Personalkosten. In Pflegeeinrichtungen werden Investitionskosten sogar auf die Bewohner umgelagert. Auch das darf nicht sein.

Ist Ihnen die Schwere des bestehenden Versorgungsmangels bewusst?

Die Versorgungabdeckung im ambulanten Bereich ist ebenfalls nicht gewährleistet. Dies ist ein großer Faktor, der die Überlastung der Krankenhäuser, allem voran der Notaufnahmen, negativ fördert.

Warum gibt es keine Bereitschaftsdienste in allen Fachrichtungen? Warum kann eine Arztpraxis immer noch mittwochs nachmittags schließen und freitags nur einen kurzen Tag anbieten? Wo gehen Schwangere hin, wenn sie außerhalb dieser Sprechzeiten eine lebenswichtige CTG Kontrolle brauchen? Brückentage, Feiertage, Wochenende – nicht abgedeckt für den Bedarf der Bevölkerung! Krankenhäuser müssen insgesamt entlastet werden an dieser Stelle. Sie müssen immer den Notfällen vorbehalten sein! Der Mangel an Hausärzten auch im ländlichen Bereich, macht die Situation noch schlimmer. Das Land hat einen Versorgungsauftrag – dazu gehören auch Bereiche der Gynäkologie oder der Kardiologie. Wie kommt es, dass es Arztpraxen gibt, die aussehen, als würden diese von Millionären geführt werden und gewährleisten doch keine Grundversorgung! Da läuft doch was falsch im System!

Gesundheit darf nicht lukrativ sein!

Wir brauchen einen Ausbau von einem präventiv denkenden und handelnden Gesundheitssystem. Lieber gut ausgestattete Ambulanzen mit dem Grundangebot verschiedener Fachrichtungen, statt über 50 einzelne Facharztpraxen in einer Stadt! Das käme dem Versorgungsauftrag an die Bevölkerung nach, würde definitiv Gelder einsparen und Krankenhäuser entlasten.

Dass der Mensch mit Würde gepflegt werden kann, ist für alle in der Gesellschaft nur mit einer solidarischen Pflegegarantie umzusetzen! Warum gehen wir diesen Weg nicht direkt? Der demographische Wandel ist längst Realität. Die Beschäftigten im Krankenhaus streiten nicht nur gegen die Folgen der Ökonomisierung von Gesundheit, sondern auch gegen die Abwertung von Pflege und Fürsorge indem sie Entlastung fordern. Und das fordern wir unmittelbar für die Gesellschaft.

Die Hans Böckler Stiftung hat eine Studie herausgebracht, die besagt, dass mindestens 300 Tsd. zusätzliche Pflegekräfte durch Wiedereinstieg in Beruf oder aufgestockte Arbeitszeit zu Verfügung stünden – wenn, sich die Arbeitsbedingungen deutlich spürbar verbessern. „Ich pflege wieder, wenn…“, die Untersuchung machte auf Basis einer großen bundesweiten Befragung mehrere Modellrechnungen auf und rechnet das Potenzial für alle aufstockungswilligen Teilzeit-Pflegefachkräfte sowie erstmals auch für Beschäftigte in der Pflege hoch, die ihrem Beruf in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt haben und sich eine Rückkehr vorstellen können. Allein in den nächsten zehn bis zwölf Jahren gehen 500.000 Pflegefachkräfte in Rente. Das ist eine der größten sozialpolitischen Herausforderungen dieser Zeit.

Frage im Mittelpunkt, unter welchen Bedingungen bereits ausgebildete, aber „ausgestiegene“ Pflegekräfte in ihren Beruf zurückkehren beziehungsweise Teilzeit-Pflegekräfte ihre Arbeitszeit erhöhen würden. Als stärkste Motivation nennen die Befragten eine Personaldecke, die sich tatsächlich am Bedarf der pflegebedürftigen Menschen ausrichtet. Außerdem wünschen sich Pflegekräfte eine bessere Bezahlung und verlässliche Arbeitszeiten. Mehr Zeit für menschliche Zuwendung zu haben, nicht unterbesetzt arbeiten zu müssen und verbindliche Dienstpläne sind für die Befragten weitere zentrale Bedingungen. Ebenso wünschen sie sich respektvolle Vorgesetzte, einen kollegialen Umgang mit allen Berufsgruppen, mehr Augenhöhe gegenüber den Ärztinnen und Ärzten, eine vereinfachte Dokumentation und eine bessere Vergütung von Fort- und Weiterbildungen.

Entscheidend ist laut Studienverantwortlichen, die Negativspirale aus problematischen Arbeitsbedingungen und daraus folgendem Rückzug aus der Pflege entgegenzuwirken und stattdessen zur Stundenerhöhung und Rückkehr in den Beruf zu motivieren.

An erster Stelle steht die Einführung einer angemessenen, am tatsächlichen Pflegebedarf ausgerichteten Personalbemessung. Die Regelung darf als sehr gute Übergangslösung nicht unter die Räder kommen. Das wäre in der jetzigen Situation das absolut falsche Signal und es bedarf eines verbindlichen Zeitplanes dafür. Zudem müsse die Tarifbindung in der Pflege dringend gestärkt werden, um flächendeckend höhere Löhne zu erzielen.

Jede Verbesserung in der Pflege wirft Fragen nach der Finanzierung auf. An einer Bürgerversicherung, die auch Beamte und Selbstständige einbezieht, geht auf Dauer kein Weg vorbei. Die Bedeutung von Care-Arbeit nimmt zu, zugleich ist der Pflegenotstand bereits jetzt offenkundig und wird sich – auch als Nachwirkung der Corona-Pandemie – künftig noch weiter verschärfen.

Die wichtigsten genannten Bedingungen für einen Wiedereinstieg / eine Stundenerhöhung:

  • Mehr Zeit für eine qualitativ hochwertige Pflege durch eine bedarfsgerechte Personalbemessung.
  • Eine angemessene Bezahlung, die insbesondere Fort- und Weiterbildungen anerkennt.
  • Ein wertschätzender und respektvoller Umgang von Vorgesetzten, Kollegialität, sowie Augenhöhe gegenüber der Ärzteschaft.
  • Verbindliche Dienstpläne
  • Vereinfachte Dokumentation

Es ist also möglich, den Teufelskreis, dass immer weniger Pflegekräfte zu noch weniger Pflegekräften führen, zu durchbrechen. 

Ein anders nicht minder wichtiges Thema:

Wie ist Ihre Haltung zur betrieblichen Interessenvertretung durch Personalrät*innen, Mitarbeitervertreter*innen und Betriebsrät*innen? Insbesondre der Benachteiligung in Mitbestimmungsangelegenheiten bei Diakonie und Caritas?

a) Caritas und Diakonie unterliegen denselben wirtschaftlichen und gesetzgeberischen Bedingungen.

b) Die Forderung nach guten Arbeitsbedingungen, angemessener tariflicher Bezahlung, verlässliche Dienstpläne, einer bedarfsgerechten

Personalbemessung u. V. m. stehen auch bei Kirche und Diakonie im Mittelpunkt.

 c) Die Interessenvertreter*innen sind in der Durchsetzungsmöglichkeit für die    

 bundesweit rund 1,3 Mio. Beschäftigten stark beschnitten.

 d) Einige Bespiele der Benachteiligung der kirchlichen Beschäftigten:

  • Das Mitarbeitervertretungsgesetz (MVG) ist ein Betriebsverfassungsgesetz light
  • Deutlich schlechter Freistellung; vor allem bei der Diakonie Pfalz
  • Unternehmensmitbestimmung mit Sitzen in Aufsichtsgremien nur selten, da nur eine Empfehlung und keine Pflicht
  • Anwendung eigner Kirchengesetzgebung und daher Benachteiligung der Beschäftigten.
  • Keine Möglichkeit den Rechtsweg bei staatlichen Gerichten zu gehen-

Können nur in Kollektivfragen das Kirchengericht anrufen.

  • In der Diakonie Pfalz keine Möglichkeit sich an die Einigungsstelle zu wenden.
  • Streikverbot
  • Zwangschlichtung bei kircheneigener Arbeitsrechtssetzung (AVR)

Wir als Bündnis Pflegeaufstand RLP fordern Antworten auf folgende Fragen:

  • Unterstützen Sie die zeitnahe Umsetzung der PPR 2.0?
  • Landeskrankenhausplan – Den Menschen in den Mittelpunkt stellen?
    • In welche Richtung würden Sie ihn überarbeiten?
  • Generalistischen Ausbildung – mit gleichem Lohn?
  • Die Fallpauschalen – halten Sie auch zukünftig noch an diesem Abrechnungssystem fest? Wird auch weiterhin der Betrieb eines Krankenhauses gespalten finanziert?
  • Privatisierung stoppen oder weiter fördern? Gelangen die Krankenhäuser und Einrichtungen zurück in öffentliche Hand?
  • Versorgungsabdeckung im ambulanten Bereich – Präventive Gesundheitsvorsorge – Struktur aufbauen statt Gesundheit als Ware lukrativ verkaufen?
  • Solidarische Pflegegarantie – wann startet sie?
  • Pflegenotstand beenden – Fakten der Studie, welche Strategie entwickeln Sie zur Förderung eines guten Wiedereinstiegs in die Pflege incl. familienfreundlicher Arbeitszeiten?
  • Werden Sie sich für ein Ende der Benachteiligung kirchlicher Beschäftigter einsetzten?

Wir als Bündnis Pflegeaufstand RLP sind offen für Ideen und Pläne neue Strategien zu entwerfen. Die Kehrtwende im Gesundheitswesen ist dringender denn je einzufordern. Wir sind gerne bereit aus unserer Sicht zuzuhören und konstruktiv daran mitzuwirken.

Bündnis Pflegeaufstand RLP

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